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Architektur verhindert Markt: Die Halle, die niemand brauchte

Wie übertriebene Planung, Pseudopartizipation und ästhetische Überformung am Naschmarkt ein Gebäude geschaffen haben, das nichts besser gemacht hat


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Stazio und banco, das sind seit Jahrhunderten jene Utensilien, die Händler:innen am Mercato Rialto in Venedig benötigen: ein Standplatz, der angemietet wird, vorne ein banco (eine Bank), dahinter ein Holzverschlag und darüber ein Segeltuch gegen Sonne oder Regen. Bis heute ist der größte Obst- und Gemüsemarkt Venedigs in flexiblen und leichten Strukturen organisiert. Der Fischmarkt benötigt mehr Schatten, muss das Agieren mit Wasser aushalten, und ist im offenen Erdgeschoss eines Gebäudes untergebracht.


Doch niemand würde die großzügige Struktur mit den rundum führenden offenen Bögen als Halle bezeichnen. Und das ist gut so. Ein Markt benötigt keine Architektur, um gut zu funktionieren, sondern ein Konzept. Das Konzept der Fischhalle in Venedig ist: Es gibt viel guten Fisch zu kaufen und sonst nichts. Das ist banal? Nein, ganz und gar nicht.


Denn man könnte dort auch Souvenirs und Essen anbieten oder Schals und Schirme fragwürdiger Produktion verkaufen. Oder irgendwelche anderen global vermarktbaren Produkte. Tourist:innen lieben den Markt, sie fotografieren die Fische, die sie nie kaufen würden, finden die um Abfälle kämpfenden Möwen lustig und machen Selfies mit Fischhändler:innen, die eine erstaunliche Gelassenheit aufweisen. Aber Gelassenheit oder serenità ist eine Grundhaltung hier in Venedig, der Serenissima.


Es braucht Konzept und Regeln


Gelassenheit hat auch mit Macht zu tun. Der Staat Venedig konnte sich leicht gelassen geben, schließlich war er der größte, wichtigste und mächtigste Handelsumschlagplatz weit und breit. Das hat sich im Laufe der Geschichte geändert, die Stadt schrumpft, und das einzige, was stabil bleibt, sind die Massen von Tourist:innen, die täglich durch die Stadt strömen, und auch durch den Mercato Rialto.


An den Obst- und Gemüseständen hat man sich diesem neuen Handelsstrom angeglichen. Gewürze (aus Venedig?) werden in verschweißten Tütchen angeboten, damit sie die Heimreise nach China, in die USA oder sonst wohin überstehen. Aber es überwiegen jene Stände, die auch lokal, also etwa auf der Insel Vignole angebaute Waren anbieten. Man merkt es sofort, wenn man dort etwas kaufen will, weil man von Venezianer:innen zurechtgewiesen wird: hinten anstellen, per favore, stai dietro. Es gibt Regeln, und die müssen eingehalten werden.


Vor allem wurde hier nichts gebaut, keine neue Architektur, keine Halle, kein Liftgebäude und keine Dachterrasse mit Marktblick. Und das ist meiner Meinung nach gut so. Nicht, weil ich keine neue Architektur mag oder weil Venedig unbedingt so bleiben muss, wie es ist, ganz und gar nicht. Aber es benötigt ein Konzept, und der Mercato Rialto hat eines, da wäre eine neue Architektur nur hinderlich. Konzept und Regeln machen einen guten Markt aus.


Wasabinüsse und Pseudopartizipation


Wobei wir wieder in Wien wären. Denn als ich von meiner vorläufig letzten Reise von Venedig zurück nach Wien kam, wurde ich an meinem Naschmarkt-Bauernmarkt-Eck von der neuen Markthalle begrüßt. Sie merken, ich schaffe es nicht, diese Architektur nicht Halle zu nennen. Denn wenn der Mercato Rialto schon keine Halle ist, was ist das dann hier am Naschmarkt?


Also bleiben wir bitte bei dieser Diktion: Halle. Schließlich ist eine Halle per Definition ein größeres Gebäude, das vorwiegend aus einem hohen, weiten Raum besteht und meist mehr als eingeschossig hoch ist. Trifft alles zu. Geht man vom Marktamtsgebäude in Richtung Markthalle, wird man von zwei symmetrischen Säulengängen begrüßt, die an die ursprüngliche Definition der Halle als Tempel erinnern.


Ins Auge springt allerdings vielmehr ein großer mobiler Wagenstand, der – Sie erraten es wahrscheinlich – Wasabinüsse anbietet. Ein ähnlicher Wagen steht dann wiederum hinter der Halle, in Richtung linearer Marktstände, wieder ein Wagen, wieder Wasabinüsse. Die Nachfrage danach muss gigantisch sein.


Und innen drinnen? Da ist alles eher beige, sehr leer, sehr geordnet. Während am Bauernmarkt Stände um jeden Zentimeter Standplatz kämpfen müssen und sich samstags dicht an dicht drängen, herrscht hier luftige Leere. Die Mischung der angebotenen Waren ist auch interessant, mit Schokolade, ein bisschen Biogemüse, Brot aus Graz und Käse, Käse und Käse nicht sehr originell. Für nur dreizehn Stände wurde ein immenser Aufwand getrieben, wurde jahrelang herumgeplant, pseudopartizipiert und schließlich durchgeboxt, was von Anfang an geplant war. Was für eine Farce.


Dass ein Workshopraum angeboten wird, ist positiv. Aber muss so ein Raum überhaupt gebaut werden? Musste überhaupt hier etwas gebaut werden? Warum mietet die Stadt nicht die vielen leer stehenden Exgeschäfte und -lokale in der Umgebung an und baut die um? Ein Blick auf den langen, nicht sehr einladenden Tisch in der Markthalle zeigt ein Grüppchen junger Tourist:innen, die bunte Rainbowbagels aus einer Schachtel essen. Gastfreundschaft und gute, kommunikative Atmosphäre sehen anders aus.


Übergestaltet und keiner kann was dafür


Aber es gibt ja noch das Dach. Über eine sehr massive Treppe kommt man auf eine sehr übergestaltete Dachterrasse mit schlechter Imitation der Libelle am Dach des Leopold-Museums. Da hätte ein wenig Großzügigkeit gutgetan. Warum ist hier oben auch alles so geschwungen? Selbst das Stehpult? Die geschwungenen Wege und Beete setzen sich leider auch im Naschpark fort und sind auch dort nicht nachvollziehbar als Konzept.


Der Blick von der Hallen-Dachterrasse ist übrigens kaum anders als der Blick, den man unten hat. Wobei, jener auf die Dächer der alten Marktgebäude ist nicht uninteressant, denn man sieht, wie viele Tauben hier geparkt sind und nur darauf warten, dass irgendwo eine Wasabinuss abfällt für sie.


An der Rückseite der Halle ist es dann vorbei mit der Symmetrie. Hier offenbart sich die ganze Kunst Wiener Gestaltung des öffentlichen Raums: eine Häufung jenes Mobiliars, das notwendig ist, aber nicht notwendigerweise so hässlich sein muss. Die Stadt tut dann immer so, als könne sie nichts dafür, aber irgendjemand muss es gewesen sein, der vier verschieden große Elektrokästen so zueinander gruppiert hat, als wäre es eine Skyline von Manhattan, umgeben von einem Wald grüner Poller mit roten Streifen in allen denkbaren Größen und Anordnungen.


Mehr Gelassenheit


Es wäre so schön gewesen, hätte man am Naschmarkt in der Projektentwicklung ein wenig mehr Gelassenheit gezeigt. Dann hätte man in Ruhe darüber nachdenken können, was ein Markt im 21. Jahrhundert wirklich sein sollte. Man hätte sich auch fragen können, wohin sich der Massentourismus entwickeln soll. Ebenso wäre Raum gewesen, um zu überlegen, wie man mit Spekulation und den teuren Mietpreisen rund um den Markt umgehen kann. Und schließlich hätte man diskutieren können, was eine Stadt wie Wien tatsächlich braucht, damit sich ihre Bewohner:innen gut, gesund, günstig und lokal ernähren können.


Man hätte um das viele Geld die ganze Marktentwicklungsgruppe mehrfach nach Venedig schicken können. Ich werde am Bauernmarkt der neuen Halle in vollkommener Abgeklärtheit zulächeln, mich meinem Biogemüse zuwenden, mich sehr lange um sehr gutes Brot anstellen und an einen guten Macciato denken. Ich war nun lange und oft genug in Venedig. Ich kann serenità.


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